Die (wenig beachteten) Ziele der Organisationsentwicklung

9. Juni 2022
kompass

Autor: Kaspar Käser

Ich bin Organisationsentwickler, Coach und Mediator. Hier teile ich Gedanken, Erlebnisse, Ideen, Erkenntnisse und vieles mehr, das mich interessiert.

Auf die Frage, welche Ziele in einem (agilen) Transformationsprozess verfolgt werden, hört man oft Antworten wie diese:

  • Wir müssen in der VUCA-Welt bestehen können, also besser mit Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit umgehen können.
  • Wir müssen effizienter werden / schneller mit unseren Produkten am Markt sein (Time To Market).
  • Wir müssen schlanker werden / Bürokratie abbauen und die Wertschöpfung steigern.
  • Wir müssen die Bedürfnisse unserer Kunden besser treffen.

Neben solchen offiziell kommunizierten Zielen gibt es jedoch noch weitere, häufig nicht genannte und darum wenig oder gar nicht beachtete Ziele einer jeden Organisationsentwicklung. Da sie für jede Organisation von grosser Bedeutung sind, sollten sie bewusst in den Fokus genommen und verfolgt werden. In diesem Blog möchte ich die Ziele der Organisationsentwicklung, so wie sie in den Büchern „Professionelle Prozessberatung“ von F. Glasl und „OE-Prozesse initiieren und gestalten“ von W. Häfele beschrieben werden, erläutern, da mir diese Definitionen sehr hilfreich erscheinen.

Die vier prozessbezogenen Ziele nach F. Glasl

Glasl (2020, S. 52) beschreibt in seinem Buch noch zusätzlich vier prozessbezogene Ziele, die zu jedem OE-Prozess gehören. Dies sind:

  1. Befähigung zur Selbsterneuerung (Wichtigstes Hauptziel):
    Befähigung der Organisation und der Menschen zu Selbstentwurf, Selbstgestaltung und Selbsterneuerung.

  2. Effektivitätsziel:
    Steigerung des Problemlösungspotenzials der Organisation, um internen und externen wirtschaftlichen, sozialen, technologischen, kulturellen Anforderungen zu entsprechen.

  3. Humanisierungsziel:
    Humane Gestaltungsprinzipien für das Vorbereiten, Einleiten und Durchführen des Änderungsprozesses, Reflektieren der Beziehungen und Machtverhältnisse.

  4. Ziel der Authentizität:
    Befähigung im Umgang mit eventuellen Spannungen, Widersprüchen in den Zielfeldern 1, 2 und 3 sowie zwischen den Zielfeldern 1, 2 und 3 nach eigenem Wertempfinden der Beteiligten.

Es ist unschwer zu erkennen, dass für die Erreichung der kommunizierten Zielen ein Einbezug dieser vier prozessbezogenen Ziele unerlässlich ist. Wie will eine Organisation, die agiler werden will, um in einer VUCA-Welt bestehen zu können, überleben, wenn die Organisation und die Menschen nicht zur Selbsterneuerung fähig sind, ihr Problemlösungspotenzial nicht steigern kann, keine Humanen Gestaltungsprinzipien anwendet und nicht mit den Spannungen und Widersprüchen zwischen all diesen Zielen umgehen kann?

Die fünf Hauptprinzipien, die Glasl beschreibt und ich im Blog Die Retrospektive in der Organisationsentwicklung bereits etwas beleuchtet habe, hängen eng mit diesen Zielen zusammen.

Dabei geht es laut Glasl nicht darum, diese vier Ziele dogmatisch zu 100% erreichen zu wollen, sondern darum, von der gewachsenen Ausgangssituation einer Organisation ausgehend einige tendenzielle Schritte in Richtung dieser Ziele zu machen.

Die vier Ziele der OE nach W. Häfele

Auch Häfele (2015, S.32 – 35) schreibt in seinem Buch von fast identischen vier Zielen, die unabhängig vom konkreten Anlass für die Veränderung in der Organisation entwickelt werden sollen:

  1. Selbsterneuerung und Selbstgestaltung
  2. Förderung von Selbstorganisation
  3. Authentizität als Antwort auf Zielkonflikte
  4. Effektivität, Humanisierung

Selbsterneuerung und Selbstgestaltung

Häfele schreibt, dass die Mitglieder der Organisation auf breiter Basis befähigt werden sollen, die gegenwärtige und zukünftige Organisationsrealität selbst zu gestalten. Diese Ziel deckt sich mit dem 1. Ziel von Glasl: Befähigung zur Selbsterneuerung.

„Diese Partizipation ist klar zu unterscheiden von jener „Pseudopartizipation“, die den Betroffenen ein Gefühl der Beteiligung vermittelt, der aber keine wirkliche Einflussnahme entspricht.“

Häfele (2015, S. 32)

Förderung der Selbstorganisation

Unter Förderung der Selbstorganisation erläutert Häfele, dass mit der Verbreitung systemtheoretischer Erkenntnisse und mit der Einsicht in die Komplexität selbst kleiner Systeme zunehmend klar geworden ist, dass Organisationen viel zu komplex sind, um bis ins Detail geführt, gestaltet und beherrscht zu werden.

„Manchmal entsteht der Eindruck, Organisationen funktionieren nicht wegen, sondern trotz des ausgetüftelten Planungs- und Steuerungssystems.“

Häfele (2015, S. 32)

Somit sind es laut Häfele die Prozesse der Selbstorganisaton, die das Geschehen in Unternehmen und Institutionen mitbestimmen und die deshalb gefördert werden sollen.

Authentizität als Antwort auf Zielkonflikte

Wie Glasl definiert auch Häfele die Authentizität als Ziel der OE:

„Mit dem Authentizitätsziel strebt OE also an, dass Menschen in einer Organisation ihre eigenen Antworten auf unvermeidbare, wichtige Zielkonflikte finden.“

Häfele (2015, S.32 und S. 33)

Effektivität, Humanisierung

Das Effektivitätsziel ist deckt sich im Grossen und Ganzen mit dem Effektivitätsziel, welches auch Glasl definiert.

Zum Humanisierungsziel möchte ich folgende Aussage aus Häfeles Werk zitieren:

„Humanisierung bedeutet, die Qualität des Arbeitslebens für alle Organisationsmitglieder zu verbessern.“

Häfele (2015, S. 33)

Rahmenbedingungen für Entwicklung schaffen

Es scheint klar zu sein, dass eine erfolgreiche Organisationsentwicklung nicht gelingen kann, wenn sie von oben befohlen wird. Vielmehr müssen Rahmenbedingungen, die Entwicklung möglich machen, vorhanden sein und gemeinsam mit den beteiligten Menschen gestaltet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die hier beschriebenen Ziele im Fokus bleiben und die Rahmenbedingungen so ausgestaltet werden, dass die Entwicklung auch die Verwirklichung dieser Ziele unterstützt.

Literaturverzeichnis

Glasl, F., Kalcher, T., & Piber, H. (2020). Professionelle Prozessberatung (4. Auflage). Haupt Verlag. (Link zum Buch)

Häfele W. (2015). OE-Prozesse initiieren und gestalten (3. Auflage). Haupt Verlag. (Link zum Buch)

Autor: Kaspar Käser

Ich bin Organisationsentwickler, Coach und Mediator. Hier teile ich Gedanken, Erlebnisse, Ideen, Erkenntnisse und vieles mehr, das mich interessiert.

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