Die Retrospektive in der Organisationsentwicklung

25. Mai 2021
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Autor: Kaspar Käser

Ich bin Organisationsentwickler, Coach und Mediator. Hier teile ich Gedanken, Erlebnisse, Ideen, Erkenntnisse und vieles mehr, das mich interessiert.

Dieser Blogbeitrag beleuchtet, wie die Methode der Retrospektive anhand der fünf Hauptprinzipien der Prozessberatung und Organisationsentwick­lung nach Friedrich Glasl (Glasl, Kalcher, & Piber, 2020) die Entwicklung in Organisationen unterstützt.

Die Retrospektive, eine Methode, die in der agilen Arbeitsweise weit verbreitet ist, ist eine regelmässig wiederkehrende Veranstaltung für Teams, Arbeitsgruppen etc., in welcher die Mitglieder ihre Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen reflektieren, gestalten und weiterentwickeln (siehe Mit Retrospektiven Lern- und Entwicklungsprozesse gestalten).

Die Durchführung von Retrospektiven allein verspricht aber noch keine nachhaltige Ent­wicklung. Erst im Zusammenspiel mit einer unterstützenden, zutrauenden Haltung und ei­nem Menschenbild, welches dem der Theorie Y (von Douglas McGregor) entspricht, entfaltet die Retrospektive ihre volle Wirkung.

Friedrich Glasl hat für die Prozessberatung und die Organisationsentwicklung fünf Haupt­prinzipien definiert (Glasl, Kalcher, & Piber, 2020, S. 49). Zu jedem Prinzip sind nachfolgend Gedanken dazu aufgeführt, was sie für die Retrospektive bedeuten können:

Prinzip 1

«Prozessberatung soll Betroffene zu Beteiligten machen!»

Für die Durchführung einer Retrospektive und für die Umsetzung allfälliger Massnahmen bedeutet dies, dass alle Personen einer betroffenen Arbeitsgruppe, eines Teams oder einer Organisation ein­geladen sind, sich an der Retrospektive beteiligen, ihre Erfahrungen und Sichtweisen einzubringen und ermächtigt sind, die beschlossenen Massnahmen umzusetzen.

Prinzip 2

«Weil die vielfältigen Veränderungen des Umfeldes ein ständiger Prozess ist, muss auch das Entwickeln und Anpassen einer Organisation ein permanenter Prozess sein!»

Die Retrospektive, durchgeführt als regelmässig wiederkehrendes Ereignis, entspricht ei­nem kontinuierlichen Vorgehen bei welchem das Entwickeln und Anpassen ein ständiger Prozess ist. Bei jeder Durchführung dürfen neue Erkenntnisse gewonnen werden, welche in die Entwicklung einfliessen können. Dabei muss nicht von Anfang an die perfekte Lösung gefunden werden. Der Weg zum Ziel erfolgt schrittweise und auf dem aktuellen Stand des Irrtums.

Prinzip 3

«Wir müssen weg von der Veränderung der Organisation und des Managements und müs­sen hin zum Organisieren und Managen der Veränderung!»

Bei einer Retrospektive gestalten die Teilnehmenden ihre Entwicklung selbst. Eine Vorgabe von Entwicklungsschritten durch Vorgesetzte oder ein Management würde dieses Prinzip verletzen. Der wichtige Beitrag des Ma­nagements ist es, die Entwicklung durch Ergebnisoffenheit, Zutrauen, Neugier und das zur Verfügung stellen von Raum und Zeit zu ermöglichen.

Prinzip 4

«Es geht um die zweifache Wirkung eines nachhaltigen Veränderungsprozesses: Verbes­sertes Ergebnis UND Verbesserungsfähigkeit der Organisation.»

Die Nachhaltigkeit des Veränderungsprozesses findet bei den Retrospektiven wie folgt statt: Durch die laufende Reflexion und das gemeinsame Lernen in Retrospektiven wird die Veränderungsfähigkeit der Organisation (Selbsterneuerungsfähigkeit) verbessert. Gleichzeitig wird in der Retrospektive, durch das Erarbeiten von Entwicklungs- und Verbesserungsmassnahmen, auch das Ergebnis verbessert.

Prinzip 5

«Sowohl die Ziele als auch die Wege der Organisationsveränderung müssen auf densel­ben stimmigen Prinzipien beruhen! Widersprüche und Doppelbotschaften untergraben die Glaubwürdigkeit einer Zielerklärung.»

Folgende Beispiele, welche Friedrich Glasl zum Hauptprinzip 5 auflistet, lassen erkennen, dass die Retrospektive, durch die Beteiligung der Mitarbeitenden, die Ziele und Wege der Organisationsentwicklung auf denselben stimmigen Prinzipien beruhen lässt:

Beispiel 1:

Angestrebtes Ziel: Unternehmerisches Denken und Handeln der Mitarbeitenden

Ziel und Weg sind stimmig: Mitarbeitende gestalten aktiv den Veränderungsprozess mit

Ziel und Weg sind unstimmig: Fremdsteuerung der Mitarbei­tenden durch Management und externe Fachleute

Beispiel 2:

Angestrebtes Ziel: Kundenorientierung, Kundennähe

Ziel und Weg sind stimmig: Mitarbeitende lernen die in­ternen Kunden-Lieferanten-Beziehungen zu gestalten

Ziel und Weg sind unstimmig: Fremdanalysen und neue Ser­vicekonzepte werden von oben/aussen vorgegeben

Beispiel 3:

Angestrebtes Ziel: Geschäftsprozesse sol­len ständig verbessert werden

Ziel und Weg sind stimmig: Mitarbeitende lernen Verän­derungsprozesse zu gestalten und zu steuern

Ziel und Weg sind unstimmig: Stäbe und Externe geben die Veränderungsschritte und Me­thoden direktiv vor

Fazit

Werden die Auffassungen und das Menschenbild, welche den fünf Hauptprinzipien zu Grunde liegen, in der Organisation geteilt, kann die Methode der Retrospektive einen Entwicklungsprozess gut unterstützen. Dann entspricht die Retrospektive auch gut Friedrich Glasls Definition der Organisationsentwicklung:

«Unter Organisationsentwicklung verstehen wir einen Veränderungsprozess der Organi­sation und der in ihr und für sie tätigen Menschen (Stakeholders), welcher von diesen selbst aktiv getragen und bewusst gelenkt wird und somit zur Erhöhung des Problemlö­sungspotenzials und der Selbsterneuerungsfähigkeit der Organisation führt, wobei die Menschen gemäss ihren eigenen Werten die Organisation und den Veränderungsprozess authentisch so gestalten, dass diese nach innen und aussen den wirtschaftlichen, sozialen, humanen, kulturellen und technischen Anforderungen entsprechen können.»

(Glasl, Kalcher, & Piber, 2020, S. 51)

Literaturverzeichnis

Glasl, F., Kalcher, T., & Piber, H. (2020). Professionelle Prozessberatung (4. Auflage). Haupt Verlag.

Autor: Kaspar Käser

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