Dies ist der dritte Teil der dreiteiligen Blogserie, wo folgende Fragestellung im Zentrum steht:
„Wie können wir im Team die Aufgaben des Teamleiters verteilen, damit wir auch ohne hierarchische Führung gut funktionieren und unsere Rollen selbst gestalten und nach unserem Können und Interesse ausführen können und wir gleichzeitig an die bestehenden und nicht verhandelbaren Richtlinien und Prozesse des Konzerns anknüpfen können?“
In den beiden letzten Blogbeiträgen Führung verteilen – Rollen kreieren (1 / 3) und Führung verteilen – Rollen übernehmen (2 / 3) beschrieb ich, wie in einem Team Rollen definiert und von den Mitarbeitenden übernommen wurden. In diesem Beitrag werde ich Erkenntnisse und Wahrnehmungen, die aus diesem Prozess entstanden sind, beschrieben:
Rollenerwartungen
Mit Rollen sind immer Erwartungen verbunden, sogenannte Rollenerwartungen. Einerseits sind das die Erwartungen des Rolleninhabers und der Rolleninhaberin an die eigene Rolle. Andererseits sind das die Erwartungen der anderen Kolleg:innen an die Rolle und wie sie ausgefüllt werden soll. Stimmen diese eigenen oder fremde Erwartungen an die Rolle nicht, kann es zu Konflikten kommen. Deshalb ist es wichtig, die Erwartungen transparent zu machen und bei Bedarf neu auszuhandeln.
Vertrauen haben und loslassen können
Als Teamleiter:in war es in diesem Prozess enorm wichtig, loslassen zu können. Andere Menschen werden die Rollen, die man nun nicht mehr selber wahrnimmt, anders ausfüllen. Es werden andere Prioritäten gesetzt und das Vorgehen wird anders sein. Und es wird nicht alles so laufen, wie man sich das vorstellt. In diesen Momenten ist es wichtig, nicht in alte Muster zurückzufallen, einzugreifen und aus der hierarchischen Position zu re(a)gieren. Hat mal etwas nicht gut funktioniert oder sind Fehler passiert, so gab es in regelmässigen Reflexionsveranstaltungen (Retrospektiven) immer wieder die Gelegenheit, solche Themen anzusprechen und miteinander zu vereinbaren, wie damit umgegangen werden soll. Als tatsächlich einmal etwas schief ging, war es wichtig, dass nicht der Teamleiter die Situation zu retten versuchte, sondern den Rolleninhabenden seine Unterstützung anbot.
Reflexions- und Lernprozesse
In einem solchen Vorhaben ist es unerlässlich, in einen kontinuierlichen Reflexionsprozess einzusteigen. In diesem Fall wurden zuerst alle 6 Wochen, später alle 3 Monate Retrospektiven eingeplant und durchgeführt und es wurden bereits im ersten Jahr viele Anpassungen vorgenommen. So konnten etwa Aufgaben, für die noch niemand die Verantwortung hatte oder die bisher nicht im Bewusstsein der Kolleg:innen waren, besprochen und in entsprechende Rollen integriert werden.
Höhere Motivation und Zufriedenheit
Etwas, was sich sehr schnell gezeigt hat war, dass einzelne Mitarbeitende aufblühten, als sie sich von Aufgaben, deren Ausführung ihnen schwer fiel, befreien und sie stattdessen Rollen übernehmen konnten, die ihnen besser lagen und ihnen mehr Freude bereiteten. Durch die Beteiligung bei der Gestaltung der Rollen wurde das Engagement und die Energie im Team spürbar höher. Wie überall gab es natürlich auch Rollen, die nicht sehr attraktiv waren. Interessanterweise liessen sich auch dafür immer Personen finden, die diese Rollen übernahmen. Oft waren dies administrative Tätigkeiten, die nach 6 Monaten wieder jemand anders übernahm.
Herausforderungen
Gerade in grösseren Organisationen ist ein solches Vorgehen eines einzelnen Teams mit verschiedenen Herausforderungen verbunden. Die Einbettung in die Gesamtorganisation muss zu jeder Zeit sichergestellt sein. Deshalb wurden alle Tätigkeiten, welche aufgrund von Vorgaben der Organisation an eine hierarchische Position geknüpft waren, in einer Rolle gebündelt, welche der Teamleiter übernehmen musste. Diese Rolle beinhaltete zum Beispiel die Bearbeitung aller lohnrelevanten Themen, das Ausstellen von Arbeitszeugnissen, das betriebliche Gesundheitsmanagement oder die Bewirtschaftung der Zeit- und Leistungserfassungs-Systeme. Findet ein solches Vorgehen in einer Organisation statt, die hierarchisch aufgebaut ist, so ist es enorm wichtig, dass das Vorgehen von den Vorgesetzten und der Organisation unterstützt wird.
Brauchen wir nun keinen Chef mehr?
Es ist nicht nur attraktiv, Führungsaufgaben zu verteilen und zu übernehmen. Einige Führungsaufgaben sind mühsam und nicht immer spannend. Solange der Teamleiter sich um diese Themen kümmerte, waren alle happy. Doch was passierte, als der Teamleiter das Team verliess? Etwas spannendes, denn die Meinungen im Team waren gemacht: „Wir brauchen keinen Chef mehr!“. Doch wer übernahm die freiwerdenden Rollen, die nicht so attraktiv waren?
In einem Workshop ging es darum, herauszufinden, wer die Rollen des Teamleiters übernehmen soll. Dazu stellte der Teamleiter alle Rollen und deren Inhalte vor, für welche er noch die Verantwortung hatte. Auf einer Skala von 0 bis 10 (0 bedeutete: total unmotiviert, 10 bedeutete: das möchte ich unbedingt machen) konnten die Kolleginnen und Kollegen ihre Motivation, eine oder mehrere Rollen zu übernehmen, zum Ausdruck bringen. Die Ernüchterung war gross, denn der höchste Wert war eine 3.5!
Bis zum Austritt des Teamleiters fand sich keine Person, welche bereit war, die Rollen des Teamleiters zu übernehmen. Es musste eine Person von extern ins Team kommen, welche bereit war, diese Rollen zu übernehmen.
Menschen
Ohne die Menschen, die bei diesem Prozess involviert waren, ihn unterstützen und mitgetragen haben, wäre dieses Vorgehen nicht möglich gewesen. Der Teamleiter hätte dies niemals alleine gestalten und definieren können. Erfolgreiche Entwicklungsprozesse lassen sich nicht von oben verordnen. Es brauchte ein Team, welches offen für solche Ideen war und aktiv im Entwicklungsprozess mitarbeitete. Und es brauchte Vorgesetzte und ein Umsystem, welche solche Veränderungen zuliessen.