Führung verteilen – Perspektive eines Teammitglieds (Gastbeitrag)

17. Mai 2022
schreibmaschine

Autor: Kaspar Käser

Ich bin Organisationsentwickler, Coach und Mediator. Hier teile ich Gedanken, Erlebnisse, Ideen, Erkenntnisse und vieles mehr, das mich interessiert.

Ich dachte ja, dass die Blogserie „Führung verteilen – Arbeiten in Rollen“ nur drei Blogbeiträge umfassen wird:

So hatte ich es jedenfalls geplant. Doch glücklicherweise hält sich das Leben nicht immer an Pläne. Ich freue mich sehr, hier den ersten Gastbeitrag veröffentlichen zu dürfen!

In diesem Beitrag erzählt Thomas Meier, wie er den Prozess aus der Perspektive eines Teammitglieds erlebt hat. Vielen Dank Thomas, für deinen Beitrag!

Gastbeitrag aus der Sicht eines Teammitglieds

von Thomas Meier

Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

Afrikanisches Sprichwort

Thomas Meier
Thomas Meier

Ich habe mich über die dreiteiligen Blogserie «Führung verteilen» gefreut. Als Mitglied des Agile Coaching Teams (ACT) der SBB habe ich natürlich gleich gemerkt, dass in der Blogserie von unserem Teamprozess in Richtung Selbstorganisation die Rede war. Unser geschätzter Ex-Teamleiter erzählt sehr authentisch, wie er diesen Prozess unterstützte. Ich dachte, es könnte von Interesse sein, den Spiegel zum Thema auch von der Seite eines Teammitgliedes zu zeigen. Ich nehme dabei allgemein Bezug zum Thema Verteilung der Führungsaufgaben ins Team in Form von Rollen, gebe aber auch kurzen Rück- und Einblick in meine Erkenntnisse.

Meine Bedenken?

Natürlich fragte ich mich als selbstkritische und reflektierte Person, ob ich den Erwartungen und Anforderungen an eine Rolle gerecht werden kann. Ich hatte mich dann auch für verschiedene Rollen beworben und war gespannt auf das Wahlergebnis. Wählen mich meine Peers, weil niemand sonst die Rolle übernehmen möchte, weil mir die Kollegen und Kolleginnen die Rolle zutrauen oder es sogar implizit von mir erwarten? Muss ich immer allen gerecht werden und koordiniere ich damit nur die Meinungen meiner Peers? Was trage ich inhaltlich dazu bei? Mit welchen Konsequenzen habe ich zu rechnen, wenn ich in meiner Rolle nicht genüge? Wird unser Teamleiter die Rolle selbst wieder in die Hand nehmen oder mich stützen?

Was hat es mit mir gemacht?

In diversen Rollen konnte ich meine Kompetenzen reaktivieren, z.B. als «Rekrutierer», oder sie als «Happiness-Kümmerer» weiterentwickeln. Es war ein gutes Gefühl, einen Beitrag für das Funktionieren und das Weiterkommen des Teams leisten zu dürfen. Der Lohn dafür war kontinuierliche Wertschätzung sowie Feedback. Ich konnte mich als Leader und Verantwortungsträger trainieren. Gleichzeitig weiss ich bei der Begleitung von sich selbst organisierenden Teams, wie es sich anfühlen kann. Damit erzähle ich Teams Stories von anderen Teams und gleichzeitig kann ich meine ganz persönliche Erfahrung teilen.
Ich bin an den ausgeübten Rollen als Mensch gewachsen.

Was half?

Im Vordergrund standen sicher die gegenseitige Ehrlichkeit, Transparenz sowie Zutrauen und Dankbarkeit für den zu leistenden Teambeitrag. Durch die Rollenverteilung wurde erlebbar, was es alles für ein ausgerichtetes, leistungsfähiges und gesundes Team benötigt. Die gegenseitige Abhängigkeit zu erfahren, hatte auch das Verständnis und den Respekt vor Führungsarbeit geschärft. Wir hatten geklärt, wie weit die Verantwortung an die Rolle delegiert werden sollte. So stand es mir als Rekrutierer zum Beispiel nicht zu, den Lohn von neuen Mitarbeitenden festzulegen. Wir hatten im Team festgelegt, dass wir keine Lohntransparenz untereinander wünschen. Wir waren uns bewusst, dass wir im Konzernlohnsystem sowieso keine schnellen Veränderungen hätten bewirken können und zudem vertrauten wir unserem Teamleiter und HR betreffend Lohn-Fairness. Die tolle Teamleistung, die wertschätzenden Feedbacks unserer Auftraggebenden und die herausragende Motivation (Personalumfrage, Vorgesetzten-Feedback) hielten uns und unserem Teamleiter den Rücken frei. Regelmässige Feedback-Loops unterstützten unseren Lernprozess.

Als Rollenträger achtete ich betreffend Inhalt, Absicht und Prozess dem Team gegenüber auf Transparenz. Ich ging aktiv auf das Team zu oder ich wurde direkt angesprochen. Ich hatte nicht den Anspruch, es allen recht machen zu müssen. Die Inputs und Impulse aus dem Team habe ich einfliessen lassen. Meine Ideen und Vorstellungen wurden dadurch in jedem Fall besser. Es gab aber auch Momente, wo ich meine Meinung ändern musste. Ich hatte mir nicht den Druck auferlegt, wieder gewählt zu werden. Ich hatte keine finanziellen Vorteile, die mich in Richtung einer Rollenübernahme oder zu einem Festhalten an der Rolle bewegten. Die Rollenträger:innen wurden befristet gewählt. Dies ermöglichte mir, bei Bedarf meine Rolle aktiv, auch vor Fristablauf, niederzulegen. Im Verständnis meiner Rollen waren für mich immer 3 Pfeiler relevant:

  • Bin ich mit meiner Wirkung in meiner Rolle zufrieden und habe ich (noch) Spass dabei?
  • Fühle ich mich vom Team und Umfeld gestützt?
  • Und schliesslich, könnte ein anderes Teammitglied die Rolle befruchten und/oder seine persönliche Entwicklung durch die Rolle voranbringen?

Kein Chef oder ein anderer Chef?

Unser Teamleiter lebte den Ansatz dienender und inspirierender Führung (Servant- und Inspirational-Leadership) durch und durch.

Nach innen war er wie ein Teammitglied, ohne das Team sich selbst zu überlassen, eben durch Selbst-Organisation. Zusätzlich teilte er die Führungserfahrung im konkreten Kontext und sein Führungsnetzwerk. Er gab uns niemals das Gefühl, dass wir es so machen sollten, wie er es einbrachte. Er hatte auch immer wieder explizit betont, dass ich bzw. wir es so machen sollten, wie wir es für gut und richtig hielten.

Nach aussen ebnete er uns den Boden, damit wir direkt auf die entsprechenden Personen zugehen konnten. Ich z.B. hatte direkten Kontakt zur HR-Beraterin bei Rekrutierungen und auch direkten Zugang zum SAP-Recruiting-System. Er hatte unseren Teamprozess auch gegen aussen verteidigt und die Stakeholder mindestens informiert und meistens auch gewinnen können.

Leider blieben aus organisatorischen (Aufbauorganisation) und technischen Gründen einige Arbeiten an unserem Teamleader hängen. Es waren nicht nur die wertschöpfenden Aufgaben ;-). Trotzdem hatte sich auch immer wieder jemand gefunden – und es waren nicht immer die gleichen Leute – der sich auch mal die Hände für das Team schmutzig machte. Die Motivation war, dem Team etwas Gutes zu tun und sich selbst etwas zurückzunehmen. Dies wurde von allen geschätzt.

Abschliessend:

Der Weg in die Selbstorganisation ist Offroad und keine Autobahn. Es benötigt immer wieder Zwischenstopps bzw. Standortbestimmungen und Zeit für die persönliche und die Reflexion im Team. Selbstorganisierte Zusammenarbeit ist ein Prozess, kein Projekt. Mit jedem Teilstück, z.B. die Übertragung von Führungsaufgaben in das Team, wurde auch klarer, was ein nächster Schritt sein könnte. Das eine Vorgehen muss nicht für ein anderes Team passen. Starten würde ich zwingend mit einem gemeinsamen (Team und Stakeholder) JA zum Prozess. Attraktiv ist, wenn mit diesem Teilstück ein Problem gelöst oder mindestens ein attraktiver Soll-Zustand erreicht werden kann. Nur um sich «agil» zu nennen oder zu positionieren, fördert nur Andersartigkeit und rechtfertigt die Investition nicht. Im Sinne von think big – act small empfehle ich jeweils eine Mindestdauer für eine Phase oder einen ersten kleinen Schritt zu definieren. In einer abschliessenden Retrospektive kann geprüft werden, wie sich das Team auf dem Weg bewegt, was optimiert werden kann und ob das nächste Teilstück bereits das Prädikat «ready to go» verdient.


Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Autor: Kaspar Käser

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