Wie können wir aus der Personalbeurteilung einen förderlichen Prozess gestalten? Was soll durch diesen Prozess erreicht werden und was ist daran wirklich wichtig?
Wie können wir Feedback nutzen, um uns als Individuen und als Team weiterzuentwickeln?
Diese Fragen stellte ich mir, als ich mich bei meinem letzten Arbeitgeber in der Rolle des Teamleiters mit den Rahmenbedingungen der Personalbeurteilung beschäftigen musste. In den nachfolgenden Zeilen beschreibe ich, was daraus entstanden ist.
Meine Gedanken/Hypothesen dazu:
- Es ist viel wirkungsvoller, wenn jede und jeder für sich selber erkennen kann, wie er oder sie auf andere wirkt, als wenn einem dies von einem Chef mitgeteilt wird.
- Es ist wertvoll, wenn ich von verschiedenen Personen im Team qualifiziertes Feedback erhalte. Ich bekomme verschieden Sichtweisen auf mich und dadurch die Möglichkeit, zu lernen und meinen blinden Fleck zu verkleinern.
- Das Vertrauen untereinander wird gestärkt, wenn wir uns wertschätzend miteinander auseinandersetzen und uns in unserer Entwicklung unterstützen wollen.
- Wir arbeiten produktiver und wertschöpfender, wenn wir in einer vertrauensvollen Umgebung arbeiten, wo wir uns sicher fühlen und uns auf Augenhöhe als Menschen begegnen können.
- Feedback zu geben und anzunehmen ist nicht immer einfach. Dafür braucht es etwas Übung, Vertrauen und eine Auseinandersetzung mit der eigenen Einstellung gegenüber Feedback.
- Wenn das Peer-Feedback als positiv erlebt wird, ermöglicht es Persönlichkeits- und Teamentwicklung.
- Vermutlich werden wir das nicht von Beginn an gut können. Das macht aber nichts. Wir dürfen uns Zeit lassen, um zu lernen.
Wir haben uns als Team auf die Lernreise gemacht und miteinander vereinbart, dass wir uns, statt der Durchführung einer herkömmlichen Personalbeurteilung, regelmässig gegenseitig von verschiedenen Teammitgliedern Feedback einholen wollen. Gestartet sind wir mit mindestens einem Feedbackgespräch pro Quartal. Geworden sind es mehr. Jedes Teammitglied suchte sich seine Feedbackgeber oder Feedbackgeberinnen selber aus. Die Gespräche fanden unter vier Augen statt. Vertraulich. Kein Chef war anwesend, keine Rechtfertigung war nötig. Wichtig war zu erfahren, wie ich auf andere wirke und mir bewusst zu sein, dass es sich dabei um die Sichtweise des Anderen handelt.
Um uns auf das Gespräch vorzubereiten hatten wir einige Fragen erarbeitet wie zum Beispiel:
- Was habe ich aus deiner Sicht besonders gut gemacht? Woran hast du das gemerkt?
- Wenn du mir bezüglich meiner Weiterentwicklung etwas auf den Weg geben möchtest, was könnte das sein?
- Gibt es Dinge an mir, die dich ärgern? Hast du eine Idee, wieso dich diese Dinge ärgern?
- Bezüglich der Kompetenz XY (Sozialkompetenz, Fachkompetenz etc.), wo auf einer Skala von 0 bis 10 würdest du mich einschätzen? Was müsste anders sein, um den Wert zu erhöhen? Was mache ich besonders gut? Was könnte ich noch besser machen? Wie könnte ich mich weiterentwickeln?
Jedes Feedbackgespräch reflektierten wir im Anschluss für uns persönlich mit Fragen wie:
- Wo habe ich mich wiedererkannt? Wo nicht?
- Wo war ich überrascht? Warum?
- Was nehme ich mit?
- Wo sehe ich meine Stärken?
- Wo möchte ich mich weiterentwickeln?
- Welche Elemente wiederholen sich in den Feedbacks, welche gar nicht?
- Welche Feedbacks lösen eine Resonanz (Gefühle, Gedanken, …) in mir aus, welche nicht? Warum?
Und als feedbackgebende Person kann es sich lohnen, sich zu überlegen, was mein Feedback, das ich soeben gegeben habe, mit mir selber zu tun hat. Was sagt es über mich aus?
Nach einem Jahr hatte so jedes Teammitglied verschiedene Wahrnehmungen auf die eigene Person erhalten und somit die Möglichkeit bekommen, das Feedback für sich zu nutzen.
Als Führungskraft war ich nun nicht mehr in der Rolle des „Beurteilers“. Wie jedes andere Teammitglied wurde ich eingeladen, Feedback zu geben und selber habe ich die anderen dazu eingeladen, mir Feedback zu geben.
Was ich in dieser Zeit erfahren und gelernt habe:
- Es braucht Übung. Zu Beginn kann es sich speziell anfühlen, Kolleginnen und Kollegen ein Feedback zu geben. Je öfter wir die Feedbackgespräche geführt haben, desto einfacher wurde es in der Durchführung und desto wertvoller wurden sie.
- Es ist hilfreich, sich auf die Gespräche vorzubereiten. Zum Beispiel mit den oben erwähnten Fragen.
- Wir lernten viel über uns selber. Und wir lernten uns gegenseitig besser kennen.
- Wir sind mit der Bereitschaft gestartet, das Vorgehen zu reflektieren und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Es ist ein Lernprozess. Offenheit, Neugier und Interesse am Gegenüber und an mir selber sind Grundvoraussetzungen dafür.
- Jede Person im Team ist anders, steht an einem anderen Punkt im Leben und geht diese Lernreise anders an. Sich auf die Reise zu begeben und etwas auszuprobieren bedeutet Entwicklung.
- Ich war etwas unsicher, wie unser Vorgehen in der Organisation (ausserhalb des Teams) wahrgenommen wird. Die überwiegenden Reaktionen waren positiv. Es war eine sehr spannende und vor allem lehrreiche Erfahrung.
Unser Vorgehen hat sich aus meiner Sicht für unser Team gelohnt. Ich bin überzeugt, dass jedes Teammitglied viel mehr von diesen Gesprächen profitieren konnte, als dies mit der klassischen „Top-Down“ Personalbeurteilung möglich gewesen wäre. Wir haben einen für uns förderlichen Prozess gefunden, der eine gute Entwicklung sowohl auf individueller als auch auf Teamebene ermöglicht hat.
Jedes Teammitglied, jedes Team und jede Organisation ist anders. Deshalb muss das Vorgehen, wie wir es gemacht haben, nicht für andere passen. Ich möchte jedoch alle ermutigen, zu experimentieren und dabei zu lernen, was für euch und euer Team hilfreich ist und euch zu überlegen, was euch wichtig ist, so dass ihr euch in der Zusammenarbeit und der persönlichen Entwicklung unterstützen könnt. Ich wünsche allen viel Freude beim Lernen.